Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Abstract Roth

Zusammenfassung

Der Sprache kommt als Medium, Wissensträger und Lerngegenstand im Unterricht einebesondere Rolle zu, die mit einer Schlüsselrolle zu vergleichen ist. Nicht nur, dass allesschulische Handeln mit Sprache verknüpft ist und Wissen über Sprache zugänglich wird,auch die sprachlichen Anforderungen an die Schüler*innen steigern sich im Laufe derSchuljahre. Nach der Einführung der Schriftsprache im Primarbereich, werdenSchüler*innen in der Sekundarstufe I mit dem bildungssprachlichen Registerkonfrontiert, das fachsprachliche Anteile enthält und über die Alltagssprache hinaus geht.Die Bildungssprache weist Spezifika auf semantisch-lexikalischer, morphologischsyntaktischerund diskursiver Ebene auf, die für Schüler*innen eine Herausforderungdarstellen können. Die Beherrschung der Bildungssprache ist für den Bildungserfolgjedoch eine wesentliche Voraussetzung, denn sie ist als „Sprache derBildungseinrichtungen und -institutionen“ (Riebling, 2013a) immer gegenwärtig.Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit zeigt auf, welche sprachlichen undbildungssprachlichen Barrieren in Lehrbuchtexten von Biologie-Schulbüchern verwendetwerden und mit welcher Häufigkeit sie vorliegen.Als Ergebnis der Analyse soll zusammenfassend erneut betrachtet werden, was esbedeutet in den untersuchten Biologie-Schulbüchern einen Lehrbuchtext zu verstehen.Dazu dient die eigens angefertigte Übersicht auf Grundlage des Theorieteils und unterEinbindung der Ergebnisse der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit zu densprachlichen und bildungssprachlichen Anforderungen von Lehrbuchtexten in Biologie-Schulbüchern.

Übergeordnetes Ziel der Biologie-Schulbücher und der darin enthaltenen Lehrbuchtexteist die Vermittlung von Wissen, sie sind „Informationsträger für schulische Lerninhalte“(Astleitner, 2012, S. 101). Schüler*innen lesen die Wörter, die Sätze, den Text undmüssen auf jeder einzelnen Ebene die Sinn- und Bedeutungsentnahme der sprachlichenEinheiten vollziehen. Auf der Wortebene muss die Bedeutung der Ausdrücke erfasstwerden. In Lehrbuchtexten der Biologie-Schulbücher begegnen den Schüler*innen hieru. a. Fachtermini, Nomina Komposita, Adjektiv-Komposita und Verb-Komposita.Weiterhin gilt es auf der Satzebene die Referenz des Satzes, die Syntax und dieFlexionsmorpheme in ihrer grammatischen Bedeutung zu verstehen. Die Schüler*innen114werden ebenda in den untersuchten Biologie-Schulbüchern unter anderem mit langenSatzkonstruktionen, Passivstrukturen und Verneinungen konfrontiert.Darüber hinaus gilt es die Textkohärenz zu erfassen. Die Sinn- und Bedeutungsentnahmealler sprachlichen Einheiten erfolgt (bestenfalls) auf allen Ebenen. Dazu gehören auchÜberschriften, Zwischenüberschriften und Gliederungsabsätze, die förderlich seinkönnen, aber auch in einen kohärenten Zusammenhang miteinander gesetzt werdenmüssen. Dieses Zusammenspiel der verschiedenen sprachlichen Einheiten und Ebenenmacht die Störanfälligkeit des Sprachverstehens von Lehrbuchtexten in Biologie-Schulbüchern aus.

Die Sinn- und Bedeutungsentnahme aus den sprachlichen Einheiten, dasSprachverstehen, bildet die Grundlage für fachlich-inhaltliches Lernen. In dieserBetrachtung bildet dies die Grundlage für fachlich-inhaltliches Lernen im Biologie-Unterricht.Der Stellenwert des fachlich-inhaltlichen Lernens im Biologie-Unterricht wird inAnbetracht der Begriffe „Scientific Literacy“ und „naturwissenschaftlicheGrundbildung“ abermals deutlich.115Der Biologie-Unterricht leistet seinen Beitrag zur naturwissenschaftlichen Grundbildung,die für alle Schüler*innen unersetzlich ist, um sich auf der Grundlage ihresnaturwissenschaftlichen Wissens eine eigene Meinung zu bilden, Probleme zu verstehen,an gesellschaftlichen Diskussionen naturwissenschaftlichen Inhalts teilzunehmen undfundierte Entscheidungen zu treffen (Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt,2012). Damit kommt „Scientific Literacy“ eine gesellschaftliche Teilhabe- undPartizipationsfunktion zu.Wenn im Fachunterricht Biologie sprachliche und bildungssprachliche Barrierenverhindern, dass alle Schüler*innen Zugang zu biologischen Phänomenen undbiologischem Wissen erhalten, kommt diesem nicht nur eine Exklusionsfunktion fürschulisches Lernen, sondern auch eine Exklusionsfunktion für gesellschaftliche Teilhabezu.Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich Sprache, unabhängigdavon, ob sie inklusiv beschult werden oder nicht, steht die bestmögliche sprachlicheFörderung und sprachbehindertenpädagogische Unterstützung zu, damit ihnen fachlichinhaltlichesLernen nicht verwehrt bleibt. Auch Schüler*innen ohne andauerndensonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich Sprache, deren sprachlicheSchwierigkeiten häufig unauffällig persistieren, sind durch den unreflektierten Einsatznicht adaptierter Lehrbuchtexte möglichen sprachlichen Barrieren ausgesetzt, die ihrenschulischen Werdegang und zukünftigen Berufsweg maßgeblich beeinflussen.Die Liste möglicher betroffener Schüler*innen lässt sich weiter fortsetzen, auchSchüler*innen aus dem Kontext von Mehrsprachigkeit oder mit Fluchthintergrundkönnen durch die aufgezeigten (bildungs-)sprachlichen Barrieren am fachlichinhaltlichenLernen im Biologie-Unterricht gehindert werden.Vor diesem Hintergrund wird nochmals deutlich, dass Biologielehrer*innen undSprachbehindertenpädagog*innen Schulbücher zunächst sprachlich analysieren unduntersuchen sollten, bevor diese im Unterricht zur Wissensvermittlung für alleSchüler*innen eingesetzt werden.„Each subject teacher is responsible for opening up his or her subject tostudents in a way that gives them an opportunity to build knowledge and makesense of the different topics addressed in the subject. This means focusing onknowledge and language.” (Härmälä et al., 2020)

Damit alle Schüler*innen gleichermaßen Zugang zu biologischem Fachwissen erhalten,wird als präventive Maßnahme eine Adaption der sprachlichen Anforderungen an dieindividuellen Voraussetzungen benötigt. Andernfalls droht für die genanntenSchüler*innengruppen eine systematische sprachliche Benachteiligung.Die Ergebnisse dieser Arbeit lassen sich auf alle Bereiche des Biologie-Unterrichtsanwenden: Da das Medium Sprache im Unterricht immanent ist, sollten imFachunterricht sprachliche Anteile generell reflektiert und überprüft werden. Bedenktman zudem die konstitutive Funktion von Sprache für den Lern- und Bildungserfolg, wirddeutlich, dass nicht nur Lehrbuchtexte, sondern auch die Lehrersprache, Arbeitsblätter,Klassenarbeiten und Aufgabenstellungen sprachlich analysiert und gegebenenfalls an dieSchüler*innenvoraussetzungen adaptiert werden sollten.In Prüfungssituationen könnten Schüler*innen ansonsten durch sprachliche Barrierenbenachteiligt werden und ihr fachliches Wissen, obwohl es vorhanden ist, gegebenenfallsnicht angemessen zeigen oder wiedergeben.An dieser Stelle soll besonders das Ergebnis, dass Biologie-Schulbücher der Klasse 5/6häufig sprachlich anspruchsvoller als die der Klasse 7/8 sind, nochmal erwähnt werden.Der unreflektierte Einsatz von Schulbüchern könnte aufgrund sprachlicher Barrieren auchdas erwiesenermaßen nachlassende Interesse der Schüler*innen am Biologieunterrichtbeeinflussen. Auch wenn Biologie-Schulbücher nur eines von vielen Medien imUnterricht darstellen, sind sie das Medium, das jede Schülerin und jeder Schüler zuhausezur Hand hat. Aber wer liest schon gerne in einem Buch, das man nicht versteht?Auch hinsichtlich einer Fachbegriffsökonomie müssen Lehrer*innen sich bewusst sein,dass der Einsatz von zu vielen verschiedenen Termini verwirrend und kontraproduktivfür das Lernen der Schüler*innen ist. Die Fülle der Fachbegriffe in den untersuchtenBiologie-Schulbüchern zeigt die Relevanz der Thematik erneut auf und lässt sich auchauf den Biologie-Unterricht allgemein und aus sprachbehindertenpädagogischer Sicht,besonders auf die Lehrersprache beziehen.Die besondere Funktion von Sprache als Medium, Wissensträger und Lerngegenstandsollten sich alle Fachlehrer*innen, besonders vor dem Hintergrund inklusiverVeränderungen, bewusst sein.Es ist nicht das Ziel dieser Arbeit, die untersuchten Biologie-Schulbücher aufgrund ihrersprachlichen und bildungssprachlichen Anforderungen grundsätzlich als wenigergeeignet oder ungeeignet zu kategorisieren, ebenso wie kein grundsätzlichesVereinfachen sprachlicher Merkmale gefordert wird.117Im Fokus dieser Arbeit stehen zwar die sprachlichen Barrieren der Biologie-Schulbücher,jedoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine sprachliche Adaption nicht umdes Schulbuchs Willen geschehen soll. Vielmehr kommt es darauf an, durch sprachlicheAdaption fachlich-inhaltliches Lernen im Biologie-Unterricht auch sprachbehindertenSchüler*innen und mehrsprachigen Schüler*innen zu ermöglichen. Sie sollten imFachunterricht bewusst sprachlich unterstützt werden, damit sprachliche Ungleichheitnicht in Bildungsungleichheit überführt und folglich schlechtere Bildungschancen undBildungsbenachteiligung hervorgerufen werden.

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