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Examensarbeit T Schmidt

Examensarbeit T. Schmidt

Einleitung

Seneca meinte einst „non vitae, sed scholae discimus“ - wir lernen für die Schule, nicht für das Leben. Diese Kritik am Schulsystem hat immer noch seine Gültigkeit. Durch den  PISA-Schock im Jahr 2000 hat diese Kritik mehr denn je Relevanz und vor allem Brisanz. Auch ein neues Wort hat seitdem Eingang in unseren alltäglichen Sprachgebrauch gefunden. Die Rede ist von Kompetenzen. Wer etwas auf sich hält, ist „kompetent“. Der Müllunternehmer hat die „Abfall-Kompetenz“ und der Klempner kommt mit der „Rohr-Kompetenz“ um die Ecke. Der Begriff wird seit jeher inflationär benutzt und ist in sämtlichen Dienstleistungbereichen präsent. Dabei steckt hinter diesem Begriff in der didaktischen Forschung meiner Meinung nach ein echter Meilenstein. Die PISA-Studie zeigte damals ein erhebliches Defizit auf. Die Jugendlichen der Bundesrepublik Deutschland lagen meist unter dem Durchschnitt was ihre Fähigkeiten im Lesen oder mathematischem Problemlösen angingen. Aber nicht etwa die zu geringe Stoffvermittlung war hierfür der auschlaggebende Grund, sondern dass die Behandlung des vermittelten Stoffes in zu geringen Ausmaß dazu führte, dass die SchülerInnen und Schüler mit Lesefähigkeiten, mit mathematischer oder naturwissenschaftlicher Kompetenz ausgestattet waren (Vgl. Ziener 2006, S. 38).

Die Konsequenzen des PISA-Schocks beziehen sich auf drei wesentliche Aspekte unserer Bildungspolitik, und zwar die Ausrichtung auf Bildungsstandards, Kompetenzen und die Output-Steuerung (Vgl. Herzog 2013, S. 7). So wurden durch einen Beschluss der Kulturminsterkonfernenz (im weiteren Verlauf als KMK bezeichnet) in der Sitzung am 06.12.2001 erste Konsequenzen aus dem PISA-Tests gezogen. Sie entwickelten „sieben konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der schulischen Bildung in Deutschland“ (KMK 2001). Eine Maßnahme ruft „zur konsequenten Weiterentwicklung und Sicherung der Qualität von Unterricht und Schule auf der Grundlage von verbindlichen Standards“ auf. In Bezug hierzu wurden die Bildungsstandards entwickelt und für die Fächer Deutsch, Mathematik, in den Naturwissenschaften Biologie, Physik, Chemie im Jahr 2004 erlassen. Die Bildungsstandards haben dabei die Erhaltung und Sicherung, sowie die die Entwicklung und Verbesserung von schulischer Qualität zum Ziel (Vgl. Herzog 2013, S.7). Sie sind output-orientiert und machen damit deutlich, dass man nunmehr versucht, den Wert und die Qualität von Bildungsprozessen vom Unterrichtsertrag auf Seiten der SuS her zu beurteilen. Der Output bestimmt, was die SuS am Ende der Einheit können muss (Vgl. Ziener 2010, S. 37).

Das ist ein echter Wendepunkt, denn durch die vorherige Input-Regulierung der Rahmenrichtlinie wurde festgelegt, was der Lehrkörper unterrichten muss.

Durch die Implementierung der Bildungsstandards wurden die Inhalte als Basiskonzepte, wie bspw. Struktur, Funktion, Ordnung (Vgl. Bildungsstandards Biologie 2004) angelegt und lassen dadurch Freiraum, diese Konzepte durch variable Inhalte zu vermitteln. Der Output bezieht sich auf die Kompetenzen, die ein SuS nach Beendigung eines bestimmten Zeitabschnittes erlangt haben soll. Eine wesentliche Rolle innerhalb der Bildungsstandards kommt somit den Kompetenzen zu. Um den Begriff zu bestimmen sei an dieser Stelle die Definition von Franz Weinert (2014, S.27) zitiert:

Dabei versteht man unter Kompetenzen „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“

Kompetenzen sind als praktisch verfügbare Dispositionen zur Lösung spezifischer Probleme zu verstehen. Sie sind der Ideengenerator, die kognitive Tiefenstruktur eines Menschen, welche Wahrnehmung, Denken und Handeln steuern (Petrik 2013, S.326). In der Bildungsforschung gibt es in Bezug auf die Festlegung von Kompetenzen zwei konfligierende Lager. Zum einen mehren sich die Positionen, die Kompetenzentwicklung grundsätzlich als domänenspezifisch, situations- und inhaltsgebunden, altersunabhängig und regressionsfähig konzipieren (Vgl. Gläser 2002, S. 256).

Auf der anderen Seite betonen Forscher wie Moegling (2010, S. 69), dass die didaktische Wende Gefahr läuft, durch vorwiegend fachbezogene und damit domänenspezifische Konzipierung, wichtige Lernchancen zu übersehen. Er spielt damit auf den Aspekt der ganzheitlichen Bildung an. Hier wird betont, dass Schulfächer nur einen Ausschnitt der Wissenschaften repräsentieren können und es wird eine inhaltliche Vernetzung mit lebensweltlichen Bezügen gefordert (Deichmann, 2001, S. 9f.). Durch die fachliche Fokussierung der Kompetenzen innerhalb der Bildungsstandards werden fächerübergreifende Lernchancen übersehen und es sei notwendig, die kompetenzorientierte Didaktik an einen mehrperspektivischen didaktischen Zugang zum fächerübergreifenden Unterricht heranzuführen (Vgl. Moegling 2010, S. 69). Auch in der Bildungsanalyse der TIMMS- und PISA-Studien werden insbesondere mehr horizontale Vernetzungen, d. h. zwischen zwei oder mehreren Fächern gefordert (Vgl. Koch/Weber 2014, S. 197).

Einen Beitrag zu dieser Diskussion soll die vorliegende Arbeit leisten. Mit meinen Thema „Fächerübergreifender Unterricht – Eine Analyse der Lehrpläne für die Sekundarschulen Sachsen-Anhalts“ habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, die institutionell verankerten Vorgaben der Lehrpläne zu analysieren und die Frage zu klären, in wieweit durch die kompetenzorientierten Lehrplanvorgaben für die Sekundarschulen von Sachsen-Anhalt Potentiale zu fächerübergreifenden Unterricht gegeben sind.

Dazu werde ich mich exemplarisch auf drei Unterrichtsfächer beziehen. Durch meine studentische Laufbahn bedingt und habe mich hierbei für die Fächer Biologie und Sozialkunde entschieden. Ergänzend werde ich das Pflichtfach Ethik hinzuziehen, da Sozialkunde und Ethik viele Paralellen aufweisen und die Probleme des Politik- und Ethikunterrichts nahe verwandt sind. Beide thematisieren normative Fragen sozialen Verhaltens (Vgl. hierzu Mehring 2014, S. 109). Die Betrachtung der drei Fächer ist schon deshalb interessant, da sie durch ihre geisteswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Betrachtungsweise drei unterschiedliche, völlig konträre Perspektiven der Weltbegegnung bieten und formal erstmal wenig gemeinsam haben. So sind sie auch im Grundsatzband des Landes Sachsen-Anhalt unterschiedlichen Fächergruppen zugeordnet.

In einem ersten Schritt werde ich mich mit der Frage beschäftigen, weshalb sich die Fachstruktur in unserem Bildungskanon durchgesetzt hat und mich dabei auch mit historischen reform-pädagogischen Konzepten auseinandersetzen, da der fächerübergreifende Ansatz in der Bildungsforschung keinesfalls neu ist. Als interessant haben sich hier das Konzept des Leipziger Lehrervereins, die Projektmethode des Chicagoers Professors John Dewey, sowie die Lernfeldbewegung der Berufsbildenden Schulen herauskristallisiert. Aufbauend darauf werden die Bildungsstandards in ihrer Funktion einer kritischen Analyse unterzogen. Der Sache halber wird dann Bezug auf den vorliegenden Kompetenzbegriff genommen. Die oben erwähnte Definition von Franz Weinert beschreibt für die Kompetenzen drei wichtige Dimensionen – Wissen- Fähigkeiten – Einstellungen. Die Betrachtung der Eigenschaften der drei Dimensionen soll Aufschluss darüber bringen, wie und wann fach- oder fächerübergreifender Unterricht in der Kompetenzförderung sinnvoll ist. Dieser Abschnitt ist ein wichtiges Bindeglied zu der Analyse der Lehrpläne.  Die vorliegende Arbeit behandelt also im Verbund die wichtige Frage:

„In wie weit lassen sich in den Fächern Biologie, Sozialkunde und Ethik auf Grundlage der kompetenzorientierten Lehrplanvorgaben Potentiale für fächerübergreifenden Unterricht herausarbeiten?“

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